Projekt „Filiolus“

Nach dem Gesetz bestand in NRW für Tot- und Fehlgeborene lange Zeit keine Bestattungspflicht. Diese Kinder wurden als ethischer Abfall entsorgt. Laut neuem Bestattungsgesetz vom 17.07.2003 §14 Abs. 2 sind Tot- und Fehlgeburten sowie die aus Schwangerschaftsabbrüchen stammenden Leibesfrüchte unter würdigen Bedingungen zu sammeln und zu bestatten. Die Kosten hierfür trägt der Träger der Einrichtung, in der die Tot- bzw. Fehlgeburt stattgefunden hat bzw. der Abbruch erfolgte. Unser Projekt „Filiolus“ sorgt für eine organisierte Kremierung der Leibesfrüchte aus Schwangerschaftsabbrüchen der niedergelassenen gynäkologischen Praxen. Darüber hinaus unterstützt unser Institut die regelmäßigen Erdbestattungen der tot- und fehlgeborenen Kinder aus den mit uns zusammenarbeitenden Krankenhäusern.
Obwohl rund jede 4. oder 5. Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endet und jedes 133. Kind in Deutschland totgeboren wird, bleibt der Umgang mit Tot- und Fehlgeburten in Krankenhäusern noch oftmals ein Tabu. Dazu trägt ebenfalls die Rechtslage in NRW bei, denn hier gilt für Tot- und Fehlgeburten keine Bestattungspflicht.

Es wird zwischen einer Lebend- und einer Totgeburt unterschieden. Eine Lebendgeburt liegt laut §29 Personenstandsverordnung (PStV) dann vor, wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen, die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. Bei einer Lebendgeburt ist das Kind zu bestatten. Es kommt hierbei nicht auf das Gewicht des Kindes an.

Hat das Kind keines der im §29 PStV formulierten Merkmale gezeigt, unterscheidet man hier erneut: Kinder mit einem Gewicht über 500 g gelten als Totgeburt, solche unter bzw. mit 500 g als Fehlgeburt. Diese Regelung geht auf eine Änderung der Personenstandsverordnung aus dem Jahre 1994 zurück. Damals wurde die Gewichtsgrenze zwischen Tot- und Fehlgeburt im Hinblick auf den medizinischen Erfolg oder die Behandlung von Frühgeburten von 1000 g auf 500 g herabgesetzt.

Nach einer Erklärung des zuständigen Ministeriums setzt die Verwendung des Begriffes Leiche voraus, dass eine Person kurz gelebt hat. Es besteht also ein Bestattungszwang für diejenigen Kinder, die nach den Voraussetzungen des §29 PStV als Lebendgeburt gelten und direkt nach oder während der Geburt verstorben sind. Tot- und Fehlgeburten bzw. Schwangerschaftsabbrüche werden von dem Begriff Leiche nicht erfasst und unterliegen infolge dessen in NRW keinem Bestattungszwang. Die Entscheidung über die Bestattung von Tot- und Fehlgeburten obliegt den Eltern.

Viele Eltern wünschen sich eine individuelle Beisetzung ihrer Tot- bzw. Fehlgeburt. Leider sind die Eltern häufig nicht in der Lage die Kosten für eine Bestattung (anonyme Bestattung circa 1300 Euro, Erdbestattung circa 1600 Euro) zu tragen, so dass in vielen Krankenhäusern bzw. Pathologien die Kinder daher als ethischer Abfall gemäß Abfallgruppe E entsorgt wurden.

Um dem Bestattungsgesetz genüge zu tragen, ist das Institut für Pathologie Wesel dazu übergegangen, die Tot- und Fehlgeburten zu sammeln und gemeinschaftlich beizusetzen. Jede eingesandte Tot- und Fehlgeburt wird mit einer Eingangs- oder Sektionsnummer versehen und auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern wissenschaftlich untersucht.

Für unser Projekt stellen die Leibesfrüchte aus den gewollten und auch ungewollten Schwangerschaftsabbrüchen der niedergelassenen Praxen eine große Herausforderung dar.

Oftmals kommen die Leibesfrüchte auf Formaldehyd zur Untersuchung in das Institut. Da bei der vorbildlich geregelten Erdbestattung der Tot- und Fehlgeburten aus den Krankenhäusern kein formaldehydhaltiges Gewebe beerdigt werden darf, können wir die Leibesfrüchte nicht mitbestatten. Das Institut sammelt daher sämtliche eingesandte Leibesfrüchte aus Schwangerschaftsabbrüchen getrennt von den Tot- und Fehlgeburten, die ohne Formalin eingesandt werden.

Nach Recherchen und Gesprächen wurde die Kremierung der Leibesfrüchte favorisiert. Die Wirtschaftsbetriebe Duisburg bieten uns eine Möglichkeit der Kremierung an. Hierfür ist es notwendig, einen extra angefertigten kleinen Kindersarg mit den Leibesfrüchten zu befüllen. Die Eingangs-Nummern bzw. die Zeiträume sind dem Institut für Pathologie bekannt und das Krematorium erhält eine Zeitachse mit Eingangs-Nummern (Dokumentation und Rückverfolgbarkeit).

Die kremierten Aschereste werden in einer Urne aufgefangen. Die Urne wird auf dem „Neuen Friedhof am langen Reck“ in Wesel auf einem anonymen Gräberfeld beigesetzt. Hierfür waren Vorgespräche mit der ASG Wesel nötig. Es wurde dem Institut für Pathologie eine große Fläche auf diesem anonymen Gräberfeld zur Verfügung gestellt, um hier regelmäßig kostenfrei die Urnen beisetzen zu können.

Ein Weseler Steinmetz erhielt den Auftrag eine Stele zu entwerfen und die Mitarbeiter des Institutes für Pathologie haben eine Inschrift verfasst.

Die Sarggestaltung obliegt den Mitarbeitern und die Materialkosten werden vom Institut getragen.
Die Urnenbeisetzung ist für die niedergelassenen Ärzte (als Träger der Einrichtung) kostenfrei und findet einmal im Jahr (1. Montag im August) statt.

Über unser Projekt „Filiolus“ werden neue Türen geöffnet und das schlechte Gewissen, einfach Schwangerschaftsmaterial entsorgt zu haben, plagt niemanden mehr. Wir sehen die Notwendigkeit unseres Projektes zum einen in der Gesetzesvorgabe, zum anderen in Bezug zur Förderung der Gesundheit, indem wir eine dringende notwendige Bearbeitung von Krisenerlebnissen ermöglichen und dadurch eine mögliche spätere Somatisierung verhindern. Den Eltern ist es auch noch Jahre später möglich zu erfahren, wo ihr Kind beerdigt wurde.